Mischung.

wpid-wp-1420747851925.jpeg

In unserem gemeinsamen WG-Brotkorb finde ich diesen länglichen, tiefbraunen, ausgesprochen massiven, brotigen Klotz. Er ist verdammt hart. Und dunkel. Und hart.
Ich säge mir eine Scheibe ab und beiße hinein. Es schmeckt sehr… nunja… vollwertig gesund.

Wie edel, denke ich, ist bestimmt einer dieser Dinkel-Vollkorn-Kracher aus irgendeiner alternativen Bio-Bäckerei. Extrem teuer, ohne Zusätze, und gesundheitsfördernd wie ein langer Abend-Spaziergang im Grünen mit anschließendem Yoga. Mindestens.

Ich weihe Mitbewohner Victor in meine Überlegungen ein. Er wiegt den Brocken nachdenklich in der Hand. „Nein“, sagt er. „Sowas kann man nicht kaufen.“

Mitbewohner Hubertus betritt die Bühne: „Na? Oh. Achja, die Brotbackmischung hatte es übrigend schon hinter sich. Ist irgendwie gar nicht aufgegangen. Aber mit sowas kann man heutzutage richtig Geld machen.“

Umweltschutz.

wpid-img_20150106_001659.jpg

In meiner neuen WG geht an Silvester das Klopapier aus. Der Supermarkt gegenüber hat nur noch superflauschige, Chlor-gebleichte Umweltkiller im Regal — und einlagiges Recyclingpapier.
„Einlagig?“, denke ich. „Hält das?“

Ich Narr.

Diese grauen, knisternd-steifen Rollen sind von einer Art, wie sie Schultoiletten alle Ehre machen würde. Das Panzertape unter den Klopapieren. Es reißt nicht unter Wasser, sondern weist stattdessen Lotusblüten-gleich jede Flüssigkeit von sich. Und dass man es nicht knicken kann, sondern an der Perforierung splitternd auseinanderbrechen muss, mag der einzige vorstellbare Grund dafür sein, diese Wunder-Raspel nur einlagig zu produzieren.

Bis zum Verbrauch des neuen Vorrats stelle ich nun eine Motto-Rolle aus meinem Adventskalender in unsere Toilette. Damit man zumindest etwas zur Hand hat, sich nach dem Blank-Schleifen des Allerwertesten die Tränen zu trocknen.

Schnäppchenjagd.

wpid-wp-1420499412117.jpeg

Ebay Kleinanzeigen ist so eine Art Online-Archiv für käuflichen Sperrmüll, und ich benötige etwas Sperrmüll als Podest für meinen Drucker.
Gottseidank bietet Kerstin aus Spandau etwas, das sie Massiver stabiler Hocker Beistelltisch Tritt Blumentisch 40x40x34 nennt. Ich will es haben.

Als sich Kerstins Wohnungstür öffnet, stehen dahinter Kerstin, ein Baby, ein etwa 8 Jahre altes Mädchen, sowie ein Massiver stabiler Hocker Beistelltisch Tritt Blumentisch 40x40x34.
Ich bin überwältigt. Mit Kindern umgehen ist nicht meine Stärke.

„Guten Tag“, sagen Kerstin und das Mädchen.
„Guten Tag“, sage ich.

„Zeig dem Herrn doch mal den Hocker“, sagt Kerstin zu dem Mädchen.
„Was soll ich dem denn da zeigen?“, fragt das Mädchen.
„Kluges Kind!“, denke ich.

„Na, dass er ihn mal hochheben kann“, sagt Kerstin.
„Das ist der Hocker“, sagt das Mädchen und reicht mir den Hocker.
„Das ist ein sehr schöner Hocker“, sage ich anerkennend.

„Er ist sehr stabil“, sagt Kerstin.
„Sehr stabil“, sagt das Mädchen.
„Ich werde bestimmt viel Freude daran haben“, sage ich.

Ich überreiche 10 Euro und setze mich auf meinem Hocker in die U-Bahn. Ich habe soeben das Geschäft meines Lebens gemacht.

Festessen.

wpid-wp-1420320811339.jpeg

Es ist der 29. Dezember, die besinnliche Zeit neigt sich dem Ende, und in meinem neuen WG-Zimmer steht ein Bett samt Lattenrost. Was bedeutet: Ich brauche eine Matratze. Das wiederum bedeutet: IKEA. Und das heißt am 29. Dezember: Wolfgang Petry — Höllehöllehöllehölle.

Mit uns dort: einsame Herzen, die allein um 20 Uhr in der Cafeteria zu Abend essen. Das seltsamste an all den Leuten, die an den Einzeltischen hocken und Köttbullar in sich hineinschaufeln ist, dass wir auch dort sitzen und Apfelstrudel mit Vanillesoße futtern. Und Kaffee trinken. Nachfüllen ist kostenlos!

Besinnliches.

wpid-img_20141217_213329.jpg

Den letzten Abend vor den Weihnachtsferien verbringe ich in der Jatz Bar, die einen weltrekordverdächtigen Steinwurf weit von meiner Wohnung entfernt liegt. Hier gibt es einen Schnaps-Adventskalender, hier stehen beleuchtete Flamingos im Fenster, hier lernt man Menschen kennen, indem man sich ihnen aus Versehen auf den Schoß setzt, kurz: hier herrscht Berliner Weihnachtsstimmung.

Den Abend über knipse ich mit einer geschenkten Einweg-Kamera samt prä-weihnachtlicher Sentimentalität sämtliche Anwesenden und spare nicht am eingebauten Blitz. („Ich glaub ich bin jetzt blind“, sagt Lukas und guckt in eine Richtung, in der er mich vermutet.)

Über die Weihnachtstage wird der Film entwickelt, und dann soll sich herausstellen, ob ein Vorsatz für 2015 lautet, öfter Einwegkameras in Kneipen mitzunehmen—oder nie wieder.

Fromme Wünsche.

wpid-img_20141208_073644.jpg

Es wird weihnachtlich in Berlin. Weihnachtlich, nicht: besinnlich.

Auf dem Gendarmenmarkt befindet sich nun ein Weihnachtsmarkt, im Einkaufszentrum gegenüber der Uni gibt es kostenlosen Glühwein und auf der Straße schnorrt mich jemand in Kunstlederjacke und Pomade um Feuer an:

„Ey, Alter, warte mal… Warte mal! Hey, hast du Feuer?“
„Ööööhm, ja, Moment. Irgendwo…“

Ich suche und gebe ihm Streichhölzer. Er freut sich wie bescheuert.

„Mann, isch hab grade schon voll die Leute gefragt. Die gucken misch nischmal an, Alter. Alle so: ‚Ey, verpiss disch!‘ Voll korrekt von dir, Mann. Voll korrekt!“

Ich gehe in die U-Bahn-Station, wo irgendjemand in DIN A0 verkündet, dass er sich Andrea Berg und Wolfgang Petry zu Weihnachten wünscht. In was für einer Welt leben wir eigentlich?

Überstunden.

wpid-wp-1417825012723.jpeg

Es ist Samstagabend kurz vor Mitternacht, und ich packe in der Bib meine Sachen zusammen.

Sie erinnern ein bisschen an Abenteuerurlaub mit Zelt, diese langen Abende an der Uni: Das Essen ist bodenständig, man will eigentlich nach Hause oder zumindest in ein warmes Bett, traut sich aber nicht, das laut auszusprechen, weil man nicht der Nörgler sein möchte, der allen anderen die Stimmung versaut.

Auf dem Nachhauseweg gehe ich noch in den Supermarkt und kaufe für die WG ein. Auf dem Kassenband liegen zwei Flaschen Wein und eine Packung Klopapier, als sich hinter mir eine Kommitonin einreiht.

Sie blickt auf meine Einkäufe: „Gehst du zurück zur Uni?“

„Rate mal!“, sage ich.

Sie beginnt zu grübeln–und beinahe bekomme ich ein schlechtes Gewissen. Das könnte eine wilde Nacht werden.

Stadt-Archäologie.

wpid-wp-1417802833916.jpeg

In Berlin hat man ungefragt (aber nicht unbedingt ungewollt) Teil an den diversen Leben der anderen Bewohner dieser Stadt.

Manchmal sehr offensiv, wenn die Oma in der U-Bahn den molligen Mann neben sich fragt: „Sagen Sie mal, was essen Sie eigentlich, dass Sie so fett sind?“

Manchmal eher indiskret, wenn man ein Paket bei den Nachbarn abholen möchte und eine ledrige Frau halbnackt die Wohnungstür öffnet, weil sie offenbar den Milchmann erwartet hat.

Oder archäologenhaft, wenn sich im öffentlichen Raum die Reste eines tollen Abends finden.
Das Schönste: Solche Spuren auf tollen Abenden selbst hinterlassen.
(Mit 16 wollte ich auch unbedingt eine dreirädrige Piaggio Ape fahren.)

Zuckersüß.

wpid-wp-1417801732927.jpeg

Wir sitzen im vietnamesischen Imbiss, neben uns junge Eltern samt ihrem Prototypen.

Das Essen schmeckt ihm nicht. Also kreischt er allen Gästen in den Gehörgang, während er durch den Raum läuft.

Irgendwie hat er heute insgesamt einen Scheißtag. Und deshalb macht er jetzt einfach mal diesen Zuckerstreuer kaputt. Zucker und Glasscherben verteilen sich im gesamten Raum. Die Eltern sind bewundernswert entspannt.

Papa fragt: „Na, war das denn jetzt eine gute Idee, dass du den Zuckerstreuer runtergeschmissen hast?“
„Ja!“, strahlt das Kind.

Rückblickend bin ich in einer Diktatur aufgewachsen.

Ordnung muss sein.

wpid-img_20141115_134305.jpg

Zum Jahresende muss ich aus meiner derzeitigen Bleibe verschwinden. (Das war von Anfang an so vereinbart.) Glücklicherweise habe ich bereits eine neue gefunden.

Sie liegt im hippen Stadtteil Neukölln. Hier duftet es auf der Straße nicht überall nach Gras wie im Wedding — wohl weil die Wohnungen der Konsumenten hier wohnlicher eingerichtet sind als die öffentlichen Grünanlagen.

In eben diesen Grünanlagen wird Integration groß geschrieben, hier zeigt sich die deutsche Offenheit gegenüber anderen Kulturkreisen. Mehrsprachige Verbotsschilder, ich bin entzückt.

Wer im kommenden Türkei-Urlaub die Einheimischen mit ein paar selbst-erlernten Türkisch-Brocken erfreuen möchte: „Radfahren verboten“ und „Leinenzwang für Hunde“ sind auch am Strand ideale Gesprächsöffner.